Das auf einen internationalen bürgschaftsvertrag anzuwendende recht

WIDERLEGUNG DER VERMUTUNG DER ENGSTEN VERBINDUNG DES BÜRGSCHAFTSVERTRAGES ZU DEM STAAT DES GEWÖHNLICHEN AUFENTHALTES DES BÜRGEN

Cass. 1e civ. 16-9-2015 n°14-10.373


Bei einem Vertrag mit Auslandsberührung ist zunächst fraglich, welches Gericht zuständig und welches Recht anwendbar ist.

Um das anwendbare Recht auf einen internationalen Bürgschaftsvertrag zu bestimmen, haben Frankreich und Deutschland ein ähnliches Verständnis von Art. 4 der Verordnung vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht („Rom-I-VO“).

Überblick über die Rechtsgrundlage

Soweit die Parteien keine Rechtswahl gemäß Artikel 3 getroffen haben und soweit der Vertrag nicht unter einen der in Artikel 4 Absatz 1 abschließend genannten Verträge fällt, wird das anwendbare Recht wie folgt bestimmt:

  • Fällt der Vertrag nicht unter Absatz 1 oder sind die Bestandteile des Vertrags durch mehr als einen der Buchstaben a bis h des Absatzes 1 abgedeckt, so unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Artikel 2 Absatz 2).
  • Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem nach Absatz 1 oder 2 bestimmten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden (Artikel 4 Absatz 3)
  • Kann das anzuwendende Recht nicht nach Absatz 1 oder 2 bestimmt werden, so unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, zu dem er die engste Verbindung aufweist (Artikel 4 Abs. 4).

Überblick über die französische Rechtsprechung 

  • In einer Entscheidung vom 08.03.2011 (Cass. 1e 8-3-2011 n°09-11.751) führte die Cour de cassation aus, dass der Vertrag mangels Rechtswahl der Parteien dem Recht des Staates unterliegt, zu dem er die engste Verbindung aufweist. Es wird widerlegbar vermutet, dass der Vertrag die engste Verbindung zu dem Staat aufweist, in dem die Partei, die die charakteristische Leistung eines Bürgschaftsvertrages erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei Abschluss des Vertrages hat. Nach dieser Entscheidung weist der Bürgschaftsvertrag die engste Verbindung zu dem Staat auf, in dem der Bürge seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
  • In dem Urteil der Cour de cassation vom 16.09.2015 wurde diese Vermutungsregel jedoch verworfen (Cass. civ. 1e 16-9-2015 n°14-10.373) : Die Cour de cassation entschied in diesem Fall, dass der Vertrag die engste Verbindung zu Italien aufwies, da der Darlehensgeber seinen Sitz und der Darlehensnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hatten und der Darlehensvertrag, dessen Erfüllung durch die Bürgschaft abgesichert werden sollte, dem italienischen Recht unterlag. Dies gelte selbst dann, wenn der Bürge seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei Abschluss des Vertrages in Frankreich hatte.

Auswirkungen für die Praxis

Mangels Rechtswahl ist nicht mehr zwingend das Recht desjenigen Staates anwendbar, in dem der Bürge als die Partei, die die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

  • Aus Gründen der Rechtssicherheit scheint es mithin unerlässlich, dass die Parteien ausdrücklich vertragliche Regelungen über die Zuständigkeit staatlicher Gerichte bzw. von Schiedsgerichten sowie über die Rechtswahl treffen.
  • Fraglich ist auch, ob diese Rechtsprechung auch auf andere Kreditsicherheiten wie z.B. den selbständigen Garantievertrag oder Patronatsvereinbarungen übertragen werden kann.

Überblick über die deutsche Rechtslage

Nach der herrschenden Literatur ist das Recht desjenigen Staates anwendbar, in dem der Bürge seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, da die Übernahme der Bürgschaft die vertragscharakteristische Leistung nach Art. 4 Absatz 2 der Rom-I-VO darstellt. Diese Ansicht wurde vor dem Inkrafttreten der Rom-I-VO auch auf der Grundlage von Art. 28 EGBGB vertreten. Trotz der materiell-rechtlichen Akzessorietät der Bürgschaft zum Darlehensvertrag sei die Bürgschaft selbständig zu betrachten, wenn es darum geht, das anwendbare Recht zu bestimmen.

Jedoch kommt eine akzessorische Anknüpfung an den Hauptvertrag oder an andere Verträge in Betracht, wenn die Bürgschaft eine engere Verbindung zu dem Hauptvertrag oder zu den anderen Verträgen aufweist. In diesem Fall soll das Recht desjenigen Staates anwendbar sein, in dem der Hauptvertrag oder die anderen Verträge abgeschlossen worden sind (Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2015, Rn. 224 ; Beck’scher Onlinekommentar BGB, Rn. 60 ; Herberger/Martinek, Rüßmann, 7. Auflage 2014, Rn. 81 ; OLG Frankfurt, 30.11.1994, 14 U 180/93).

 Zusammenfassung

Sowohl im französischen und als auch im deutschen Recht wird Art. 4 der Rom-I-VO im Hinblick auf den Bürgschaftsvertrag mittlerweile im Wesentlichen gleich angewendet.

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